Forschung: Ursachen von ME/CFS, Long COVID, Fibromyalgie und anderen neuroimmunologischen Syndromen

ashok09

Vom Leiter der Klinik, Ashok Gupta

Ich freue mich außerordentlich, dir meine Erklärung für ME/CFS, Long COVID, Fibromyalgie und anderer neuroimmunologischen Syndrome vorlegen zu dürfen. Ich beschäftige mich inzwischen seit über 20 Jahren mit der Erforschung derartiger Syndrome. Sie gründet auf meiner wissenschaftlichen Arbeit, die 2002 in einer anerkannten medizinischen Fachzeitschrift veröffentlicht wurde. Vorher wurde der Artikel bereits im Jahr 2000 im Internet publiziert. Zunächst war die eingesetzte Methode nur für eine relativ kleine Anzahl von Patienten zugänglich, die ich in meiner Praxis in London empfangen konnte. Mit der Herausgabe des "Gupta Amygdala Retraining" DVD Programms, dem Vorgänger zum jetzigen "Gupta Gehirn Retraining" Programm, konnten Betroffene auf der ganzen Welt von dem Ansatz profitieren und die Wirksamkeit am eigenen Leib erfahren. Seit dem Jahre 2020 werden die Inhalte in einem modernen, gut zugänglichen und benutzerfreundlichen multimodalen Programm angeboten, seit Juni 2022 auch komplett auf deutsch.

„Ich litt selbst am chronischem Erschöpfungssyndrom (ME/CFS). Ich bekam die Krankheit, während ich an der Universität studierte.“

Seitdem habe ich es mir zur Lebensaufgabe gemacht, einen wirksamen Weg zur Überwindung von ME/CFS und verwandten Leiden zu finden, wie z.B. Long COVID, Fibromyalgie, Multiple Chemikalien-Sensibilität (MCS), Elektrohypersensitivität (EHS), etc. Ich bin nun seit vielen Jahren wieder völlig gesund und gebe meine Erfahrung und mein Wissen in meinem Programm und den wöchentlichen Live Webinaren weiter.

Um dir eine Vorstellung zu geben von meiner These, der Pathogenese und der Art der Therapie, die schon so Vielen ihr Leben zurück gebracht hat, werde ich folgendes betrachten:

  • Einen Überblick über die Amygdala & Insula Hypothese – ein „Teufelskreis“, der, wenn er durch heftige Stressoren und bei Menschen mit gewissen Risikofaktoren erst einmal angestoßen ist, zur einer dauerhaften neuro-immunologischen Überstimulierung führen kann, die physiologische Dysfunktionen und viele körperliche Krankheitserscheinungen zur Folge hat.
  • Eine Erklärung der häufigsten Symptome vor dem Hintergrund dieser Hypothese.
  • Eine kurze Zusammenfassung der Prinzipien des Gehirn Retrainings – wie also Patienten den Teufelskreis durchbrechen können, indem sie Techniken anwenden, die die Amygdala, die Insula und andere betroffene Hirnstrukturen dazu bringen, die pathologische Überstimulation wieder zurück zu fahren, um wieder zu einer normalen physiologischen Reaktion zurück zu kehren.

DIE AMYGDALA-HYPOTHESE

Meine Forschungsarbeit deutet darauf hin, dass ME/CFS eine neurologische Erkrankung ist, die durch Fehlfunktionen von Gehirnstrukturen im limbischen System verursacht sein könnte, die wir „Amygdala“ und „Insula“ nennen.

Eine der Rollen der Amygdala ist es, den Körper vor potentiellen Gefahren zu schützen.

  • Die Erforschung der Amygdala war traditionell auf physiologische oder emotionale Bedrohungen gerichtet,
  • während jüngste Forschungsarbeiten zeigen, dass die Amygdala in Schutzmechanismen gegenüber immunologischen und chemischen Bedrohungen ebenfalls involviert ist.

Diese Hypothese ist der Vorschlag eines vereinheitlichten Modells für verschiedenartigen Syndrome. Sie wurde von mir in der namhaften Fachzeitschrift „Medical Hypotheses“ im Jahr 2002 veröffentlicht.

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Im Folgenden werde ich versuchen, die Grundzüge meines medizinischen Aufsatzes in Nichtmediziner-Sprache zu erläutern und dabei von folgendem Diagramm Gebrauch machen:

AUSLÖSENDE FAKTOREN

Genetische und umweltbedingte Risikofaktoren (1)

Fangen wir einmal ganz oben an, bei den Faktoren, die die Entwicklung dieser Krankheiten begünstigen – also mit den Risikofaktoren. Dazu können genetische Prädisposition und Umweltfaktoren zählen, die noch näher zu untersuchen sein werden.

Zwei weitere Faktoren tragen zum Entstehen dieser Erkrankungen bei.

Trigger: Akuter mentaler, emotionaler & körperlicher Stress (2) und eine Virale oder bakterielle Belastung oder ein anderer körperlich belastender Trigger (3)

Der Beginn der Erkrankung geht oft einher mit mentalem und/oder emotionalem Stress sowie mit irgendeiner akuten physischen Erkrankung oder immunologischen Stresssituation.

  • Im Falle von ME/CFS und Long-COVID kann diese physische Erkrankung in einem Virus- oder bakteriellen Infekt bestehen (z.B. Eppstein-Barr Virus/Pfeiffersches Drüsenfieber, COVID-19, Influenza, Darm-Enteroviren etc.), oder in einer anderen infektiösen Erkrankung.
  • Bei Fibromyalgie könnte das physische Trauma ein Unfall sein, oder auch anhaltende chronische Schmerzen in einem Körperteil.
  • Bei MCS könnte ein Toxin, dem man stark ausgesetzt ist, der Trigger sein.

Der Theorie folgend können sich diese neuroimmunologischen Syndrome in ihren Symptomen auch überlagern. Denn so verschieden die Muster an Symptomen auch sein mögen, die zugrunde liegende Ursache doch ein und dieselbe sein dürfte. Die Theorie bleibt auch gültig, wenn die Krankheit allmählich entsteht, im Gegensatz zu einem abrupten Beginn, bei dem die Betroffenen häufig den genauen Tag nennen können (näheres hierzu entnehmen Sie bitte dem medizinischen Aufsatz).

HYPOTHESIS FOR MECFS

TRAUMA IN DER AMYGDALA UND DER INSULA (4)

Das Zusammenwirken dieser auslösenden Faktoren verändert die Abläufe im limbischen System und führt zu einem hirnneurologischen Trauma, dass sich durch eine Hypersensibilität des Gehirns auszeichnet:

  • Die Amygdala, gemeinsam mit der „Insula“, reagieren hypersensibel, sowohl auf die Symptome im Körper, als auch auf externe Reize.
  • Die Vorgänge geschehen unbewusst, also ohne dass der Betroffene etwas davon mitbekäme.

DAUERHAFTE STIMULIERUNG DES SYMPATHISCHEN NERVENSYSTEMS (5)

Von da an über-stimuliert die Amygdala fortwährend das sympathische vegetative Nervensystem.

Der sympathische Teil des vegetativen Nervensystems ist zuständig für die Notfall-Antwort des Körpers auf Bedrohungen. Wird er angesprochen, dann wird sein Gegenspieler, der parasympathische Teil des vegetativen Nervensystems (zuständig für Reparatur des Körpers, Entgiftung, Verdauung etc.) abgeschaltet, und die dadurch frei werdende Energie wird auf den Notfall hin umgelenkt.

Eine andauernde, pausenlose Stimulation kann Erscheinungen hervorrufen, die jedes einzelne Organ und jedes System im Körper ernsthaft in Mitleidenschaft ziehen, darunter das endokrine (Hormon-)System und das Immunsystem. (Mehr dazu im Anhang unter „Wie die verschiedenen ME/CFS/FM-Symptome durch ständige Amygdala-Stimulation entstehen“).

Außerdem kann die kontinuierliche Stimulation sekundäre Effekte im Körper auslösen, die wiederum Forscher zu der Annahme bringen können, diese physischen Befunde seien die Ursache der Erkrankung, während sie doch lediglich Symptome einer tiefer zugrunde liegenden Hirn-Fehlfunktion sind.

SYMPTOME UND SEKUNDÄRE ERKRANKUNGEN

Die Übererregung des Körpers löst dann Symptome aus (6) und lässt sekundäre Krankheitszyklen entstehen (7).

Die Überstimulation kann dazu führen, dass Rezeptoren sich anpassen, wodurch Systeme herunter geregelt werden. Andere Systeme können sich durch die Überstimulation einfach erschöpfen, wie zum Beispiel die Nebennierenrinde für das Adrenalin. Stickoxid-Konzentrationen können steigen (siehe die Ergebnisse von Professor Martin Pall), was eine Fülle von sekundären Krankheitserscheinungen und Symptomen im Körper verursachen kann, bis hin zu einer Dysfunktion der Mitochondrien, was den gesamten Teufelskreis verfollständigt. Da das Immunsystem unangemessen reagiert, bekommen opportunistische Viren der Herpes Familie (wie z.B. HHV-6) eine bessere Möglichkeit, sich auszubreiten, wodurch sich Krankheitssymptome verstärken.

Schlussendlich, bei (7), können sekundäre Erkrankungen auftreten, wie z.B. Allergien oder chemische Übersensibilitäten, die durch die Hypersensibilität des gesamten Systems verursacht werden.

Worin ich von Professor Martin Pall’s Stickoxid-Hypothese für ME/CFS und andere „unerklärliche“ Krankheiten abweiche, das ist, dass in seiner NO/ONOO-Hypothese die Auswirkungen des Stickoxids hauptsächlich lokaler Natur sind.

  • Ich denke nicht, dass sich dadurch eine solch tiefgreifende Erkrankung mit derart weitreichenden Symptomen erklären lässt.
  • Stattdessen bin ich der Meinung, dass die Stickoxid-Theorie einfach noch einen weiteren sekundären Krankheitszyklus beschreibt und nicht etwa die kausale Ursache für die gesamte Krankheit.

Überaktivität des sympathischen Nervensystems bedeutet, dass der Schlafrhythmus gestört wird. So kann der erholsame „Delta“-Schlaf nicht wirksam werden, der für die Regeneration des Körpers unerlässlich ist. Das gleiche war auch für das Post-traumatische Stress-Syndrom erkannt worden, eine Krankheit, in der die Amygdala ebenfalls eine wichtige Rolle spielt. Dadurch fühlt sich der Patient am nächsten Morgen unerholt, was längerfristig zu schwerer Erschöpfung führt und bei Fibromyalgie die Schmerzen verstärkt.

FAKTOREN, DIE DIE KRANKHEIT CHRONISCH WERDEN LASSEN

Diese Symptome werden vom sensorischen Thalamus/Cortex und dem Insula Cortex detektiert – von denjenigen Teilen des Gehirns, die die von den Sinnen herein kommenden Informationen empfangen

Um den Zyklus dann komplett zu machen, werden die hereinkommenden Signale von der Amygdala verstärkt, wodurch sie das Gehirn und das Nervensystem in einem Zustand fortgesetzter Übererregung gefangen hält

Man vermutet, dass es Aufgabe der Insula ist, die emotionale Bedeutung der detektierten Symptome zu interpretieren und diese Darstellung an die Amygdala weiter zu leiten.

Bei Punkt (9) wird die Amygdala durch jene Symptome, die sie im Körper feststellt, traumatisiert, und sie stimuliert umgehend die Körpersysteme aufs Neue, bei Punkt (4).

Bitte beachte, dass diese Sensibilität des zentralen Nervensystems (und die daraus folgende gestörte Schmerzverarbeitung, die ein erhöhtes Schmerzbewusstsein zur Folge hat) im Begriff ist, ein für die Fibromyalgie immer mehr akzeptiertes Erklärungsmodell zu werden. Dies alles setzt sich endlos fort und schließt sich zu dem Teufelskreis, der im Diagramm dargestellt ist.

FAKTOREN, DIE ÜBER DIE ART DER SYMPTOME UND DEREN SCHWERE ENT-SCHEIDEN

Fällt der Zyklus besonders verhängnisvoll aus, dann kann ein Patient davon sogar bettlägerig werden. Verläuft der Zyklus milder, dann kann es sein, dass der Patient zwar beeinträchtigt ist, aber in unterschiedlichem Maße „funktionsfähig“ bleibt. Die Symptome jedes einzelnen Betroffenen hängen von drei Faktoren ab:

  • Von der Schwere der konditionierenden Effekte in der Amygdala, der Insula und zugehörigen Hirnstrukturen.
  • Von der spezifischen Art der Konditionierung, also davon, welche Symptome und welche Reaktionen sich im Körper zum Zeitpunkt der Traumatisierung genau abgespielt haben.
  • Vom zeitlichen Ablauf der Traumatisierung – obwohl Symptome sich im Laufe der Zeit auch verändern können.

Aufgrund der sekundären Krankheitseffekte im Körper können Nahrungsmittelunverträglichkeiten entstehen sowie weitere, allgemeine Überempfindlichkeiten. Das kommt daher, dass mit einer Amygdala (im Verein mit anderen Hirnstrukturen), die sich in Alarmstimmung befindet, die Wahrscheinlichkeit wächst, dass sie neue Antworten lernt auf Stimuli, auf die sie im Normalfall gar nicht reagieren würde.

Wenn das sympathische System erregt ist, dann werden das Verdauungssystem und das Entgiftungssystem heruntergefahren oder gar abgeschaltet, was erklären mag, warum sich manche Patienten innerlich wie „vergiftet“ fühlen.

Der Patient wird auch beobachten, dass Stress seine Symptome verschlimmern kann – einfach deshalb, weil Stress den Teufelskreis weiter antreibt, und weil der Körper nicht genug Ressourcen hat, mit diesem Stress fertig zu werden. Der Stress kann dabei mental, emotional oder auch physisch sein.

Bei einigen Patienten scheinen die konditionierenden Effekte nicht sonderlich stark zu sein, weshalb manche allein durch allgemeine Veränderungen des Lebensstils ihre Gesundheit zurück erlangen können. Bei anderen jedoch ist die Konditionierung im Gehirn schwerwiegender und sie werden auf lange Sicht chronisch krank.

Gehirn-Retraining – DIE GRUNDZÜGE

Ich möchte betonen, dass es sich bei ME/CFS, bei Fibromyalgie und MCS meiner Ansicht nach um reale, physische Krankheiten handelt und keinesfalls nur um psychologische Erscheinungen. Die Überempfindlichkeits-Konditionierung geschieht vorwiegend unbewusst.

Wie schon erwähnt mag das Golfkrieg-Syndrom eine Kombination aus allen drei Erkrankungen darstellen, da hier Belastungen durch Impfungen, Gifte und psychologischen Stress gleichzeitig zusammen trafen.

Ich glaube nicht, dass derzeit Medikamente existieren, die auf eine solch spezifische Reaktion im Gehirn gezielten Einfluss nehmen könnten. Die meisten Medikamente oder Ergänzungsmittel zielen eher auf die Symptome ab und nicht auf die Ursache. Wenn die Konditionierungseffekte eher leicht sind, dann mag eine erfolgreiche Behandlung der Symptome zur vollständigen Wiederherstellung führen, aber in der Mehrzahl der Fälle wird dies wahrscheinlich nicht so sein.

Die Reaktion des unbewussten Gehirns, worin ja die Fehlfunktion der Amygdala besteht, entzieht sich normalerweise der bewussten Kontrolle des Patienten. Aber ich bin überzeugt, dass gewisse neuartige Techniken des „Hirn-Retraining“ sich genau diese Reaktion zum Ziel nehmen und die Amygdala unter Kontrolle bringen können. Diese Techniken sind von NLP (Neuro-Linguistisches Programmieren), Atmung, Meditationstechniken und anderem entlehnt. Sie sind sehr spezifisch und passen nicht in irgendeine einheitliche Kategorie, weshalb ich sie insgesamt als „Amygdala Retraining Techniken“ bezeichne.

Glücklicherweise kommuniziert die Amygdala fortwährend mit anderen Teilen des Gehirns, und das ist der Punkt, wo das Retraining ansetzen kann.

Aus Tierversuchen weiß man, dass die Amygdala unter Kontrolle gebracht werden kann, indem neue Neuronen gebildet werden, die den präfrontalen Cortex mit der Amygdala verbinden, um ihre Reaktionen zu bändigen und zu kontrollieren und auch die Fähigkeit der Insula und des anterioren cingulären Cortex zu stärken, ihrerseits die Reaktionsbereitschaft des Gehirns zu kontrollieren und zu besänftigen (die ‘Inhibitionsmechanismen’)

  • Studien haben gezeigt, dass Patienten mit ME/CFS ein geringeres Volumen grauer Hirnmasse in diesem Bereich des Gehirns besitzen (präfrontaler Cortex), sowie auch übersteigerte Delta-Wellen-Aktivität im präfrontalen Cortex.
  • Andere Studien haben gezeigt, dass regelmäßiges Meditieren das Volumen dieses Hirnbereichs vergrößern kann, was beweist, dass diese „Gehirn-Übungen“ tatsächlich Einfluss auf die Gehirnstruktur nehmen können.

Amygdala & Insula Retraining ist dazu konzipiert, den präfrontalen Cortex zu stärken und die Inhibitionsmechanismen der Insula, des anterioren cingulären Cortex und anderer zugehöriger Hirnstrukturen wiederherzustellen. Alle Gehirn-Retraining-Techniken sind nun in Form eines interaktiven, multimodalen Genesungsprogramms erhältlich. Ich stellte fest, dass die meisten Patienten es sich nicht leisten konnten, für eine Behandlung in die Praxis zu kommen und wollte deshalb etwas schaffen, das bezahlbar ist und leicht zu Hause angewendet werden kann.

ANHANG –WIE DIE SYMPTOME VON ME/CFS UND FIBROMYALGIE ENTSTEHEN

Es wird hier die gesamte Bandbreite an physischen wie auch an kognitiven und emotionalen Symptomen angesprochen, so, wie sie von den an ME/CFS, Fibromyalgie und artverwandten Krankheiten Leidenden erfahren wird, und es wird aufgezeigt, wie diese das Ergebnis von Amygdala-Hypersensibilisierung sein können.

Vorab möchte ich betonen, dass ich fest überzeugt bin, dass all diese Krankheitserscheinungen von vorübergehender Natur sind. Das heißt, sie entstehen durch systemische Veränderungen der Körperfunktionen und stellen keinen dauerhaften organischen Schaden dar. Wenn die Überreaktionen der Amygdala gestoppt werden, dann wird es dem Körper möglich, das parasympathische System zu aktivieren, was bedeutet, dass eigene Selbstheilungs-Mechanismen den Körper und seine Funktionen wieder in Gleichgewicht und Homöostase bringen können.

KÖRPERLICHE SYMPTOME

Müdigkeit und Schmerzen in den Muskeln, schmerzhafte Gelenke:

Die Stressantwort wird manchmal auch als „Kampf-, Flucht- oder Erstarrungs-“ Antwort bezeichnet. Diese Reaktionen, inklusive einer übermäßigen Ausschüttung an Adrenalin, sorgen für Muskelanspannung und sind eigentlich vorgesehen, jeweils nur für Minuten ausgelöst zu werden.

Entspannte Muskeln befinden sich in einem Zustand, der als Tonus bezeichnet wird. Das ist ein Gleichgewichtszustand zwischen Entspannung und Anspannung. Fortgesetzte Anspannung bringt den Tonus durcheinander, und Müdigkeits-Chemikalien (z.B. Milchsäure) können sich im Muskel ansammeln und ausbreiten, was Schmerzen verursacht. Durch die Stress-Response wird eine anhaltende Anspannung ausgelöst und in Gang gehalten, denn auf Stimuli von Gefahr zu reagieren ist die primäre Aufgabe von Muskeln. Deshalb leiden Sie womöglich an schmerzenden Gliedmaßen, die sich schwer und träge anfühlen, während an den Muskeln selbst physisch nichts krank ist.

Einige Patienten stellten fest, dass Magnesiumtabletten helfen, die Muskelverhärtung zu lindern. Magnesium wirkt muskelentspannend, und grünes Blattgemüse ist ebenfalls ein guter Lieferant dafür.

Erschöpfung durch Schlafprobleme:

Diverse Studien haben gezeigt, dass Menschen mit Schlafproblemen in erster Linie deswegen nicht einschlafen können, weil sie sich über etwas Sorgen machen, obwohl sie wirklich müde sind. Studien zeigen auch, dass die Amygdala teilweise dafür verantwortlich ist, Menschen durch unbewussten Stress nachts wach zu halten. ME/CFS/FMS-Patienten haben dasselbe Problem: Ihr Gehirn wird fortwährend mit Gedanken bombardiert, die darum kreisen, dass da eine Gefahr lauert, ein ungelöstes Problem. Daher die Schwierigkeiten, einzuschlafen oder durchzuschlafen.

Wenn Körper und Geist angespannt sind, wird der Nachtschlaf unterbrochen und zerstückelt. Untersuchungen haben gezeigt, dass unterbrochener Schlaf vermehrte Schmerzen und Müdigkeit am nächsten Tag nach sich zieht. Eine fortwährende Stress-Response, die zu Schlafunterbrechungen führt, bringt auch die innere Uhr durcheinander. Untersuchungen belegen bei Patienten eine Fehlanpassung zwischen dem Zyklus der Körpertemperatur und dem der Melatoninausschüttung. Es konnte gezeigt werden, dass diese Fehlanpassungen bei Patienten denen von unter Stress und

Schlafmangel Leidenden sehr ähnlich sind, sowie denen bei Patienten mit posttraumatischem Stress-Syndrom.

Darüber hinaus ist es der Hypothalamus, der den Schlafrhythmus reguliert, und eben diese Hirnstruktur wird von seiten der Amygdala mit Signalen bombardiert.

Zustandsverschlechterung nach körperlicher Anstrengung:

Wie einige Studien zeigten, reagieren Patienten in krankhafter Weise auf körperliche Anstrengung, was an einer unangemessenen Ausschüttung des Stress-Hormons Cortisol erkennbar ist. Das kommt daher, dass sich durch die schwere Stressantwort die Stress-Drüsen erschöpfen können, oder sie passen sich dem chronischen Stress an. Während weiterhin das Signal gegeben wird, Cortisol auszuschütten, kann dann der Anforderung nicht mehr nachgekommen werden.

Das System kann die Versorgung mit Cortisol auch gedrosselt haben, weil es vorher überstimuliert wurde. Da die Muskeln ohnehin von der ständigen Anspannung müde sind, haben sie auch Mühe, sich auf Anstrengung einzustellen.

Auch kann eine ganze Reihe hormoneller Veränderungen im Körper vorliegen, was dazu führt, dass der Körper physischem, mentalem oder emotionalem Stress nicht wirksam begegnen kann.

Wenn Geist und Körper fortwährend stimuliert wurden, dann können sie keine angemessene Leistung mehr bringen, denn sie haben ja die ganze Zeit schon „viel geleistet“, und mehr Erschöpfung ist die Folge.

Verdauungsprobleme, z.B. Reizdarm (Irritable Bowel Syndrome, oder IBS):

Das Verdauungssystem verfügt über ein eigenes Nervensystem, das manchmal auch „kleines Gehirn“ genannt wird. Bei Stress wird es vom Gehirn über das Vegetative Nervensystem stimuliert, und das führt dann zu Darmproblemen, kann die Muskeln dort verspannen und generell den Darm überstimulieren.

Im übrigen: wenn durch das Sympathische Nervensystem die „Kampf oder Flucht“- Reaktion eingeleitet wird, dann leiten Adrenalin und Noradrenalin die Energien und Kräfte des Körpers in diejenigen Organe um, die beim Kämpfen oder Fliehen gebraucht werden. Das sind zum einen die Muskeln, damit sie schnell reagieren können, und zum andern das Gehirn, damit der Kopf schnell denken und sich gut auf die Gefahrenquelle konzentrieren kann. Aus diesem Grund werden alle anderen, in dem Fall weniger wichtigen Körperfunktionen abgeschaltet. Und dazu gehört das Verdauungssystem.

Das bedeutet, dass regelmäßig Nahrung den Darm passiert, die nicht richtig verdaut wird, was zu den Symptomen von IBS führt. Dazu kommt, dass alle Muskeln im Körper angespannt sind, vermutlich auch diejenigen innerhalb des Dünn- und des Dickdarms. Der Dickdarm bewegt normalerweise die Nahrung durch mäßige Kontraktionen. Muskelanspannung bringt diese Rhythmen durcheinander und führt dazu, dass es entweder zu viele oder zu wenige Kontraktionen gibt, und damit kommt es zu Durchfall oder Verstopfung oder beidem.

Nahrungsmittelallergien/-Überempfindlichkeiten:

Der Darm kann auf toxische Bestandteile in der Nahrung sensibilisiert werden, oder auf Nahrungsmittel, die er nun als toxisch empfindet. Der Körper ist jetzt in einem sehr sensiblen Zustand und sucht Zuflucht in der Überempfindlichkeit, um zu überleben. Oxidativer Stress kann zu einem „durchlässigen Darm“ führen, was Überempfindlichkeitsreaktionen auslöst.

Manche Patienten stellen fest, dass eine Nahrungsumstellung ihnen hilft, weil es bestimmte Nahrungsmittel gibt, die leichter zu verdauen sind. Schwer verdauliche Nahrungsmittel zu essen, während sich der Verdauungstrakt in diesem Zustand befindet, kann theoretisch die Symptome verschlimmern.

Symptome des Immunsystems, z.B. Halsschmerzen, geschwollene Mandeln:

Das Immunsystem befindet sich ständig in einem sehr labilen Gleichgewichtszustand. Es ist immer bereit, auf eine Bedrohung angemessen zu reagieren. Wenn jedoch die Wahrnehmung dieser Bedrohung übertrieben wird, dann kann das zu Erscheinungen wie einer reaktivierten Immunantwort führen, die ständig in Alarmbereitschaft ist.

Ich werde auf die Neurobiologie dieses Mechanismus an dieser Stelle nicht weiter eingehen (diese wird in meiner medizinischen Veröffentlichung eingehend diskutiert). Es mag hier genügen anzumerken, dass es angesichts der Tatsache, dass das anfängliche Trauma oft mit einem schweren Virus- oder bakteriellen Infekt einhergeht, nicht verwunderlich ist, wenn der Körper immer wieder die Immunabwehr auslöst, um sicher zu gehen, dass der Körper überlebt, auch wenn gerade gar keine Virusbedrohung vorliegt. Das kann sich dann oft so anfühlen, als ob man Grippe oder leichtes Fieber hat, auch geschwollene Lymphdrüsen und Halsschmerzen, und dies kann die Folge von Chemikalien sein, den so genannten Cytokinen. Diese Konditionierung kann leicht in der Insula gespeichert werden, und das Retraining hat auch zum Ziel, die Insula zu überreden, dass keine weiteren Bedrohungen vorhanden sind.

Bei manchen Patienten kann dies zu einer erhöhten Empfindlichkeit für Virusinfekte führen, und viele meiner Patienten berichten mir dies. Andere wiederum stellen fest, dass sie nicht mehr Erkältungen haben als sonst.

Reaktivierung latenter Viren/Hohe Virentiter

Wenn das Immunsystem immer wieder fälschlich alarmiert wird, können sich latente opportunistische Viren leichter festsetzen. Außerdem weiß man, dass eine Überlastung des Stress-Systems die Wirksamkeit des Immunsystems herabsetzt, wodurch opportunistische Viren gedeihen können, was wieder mehr Symptome erzeugt. Vor kurzem hat Professor Garth Nicolson gezeigt, dass bei Patienten mit ME/CFS ähnlich starke multiple und systemische bakterielle und virale Infekte vorlagen wie bei Patienten mit Autismus. Autismus ist eine Erkrankung, bei der eine fortgesetzte Übererregung der Amygdala als teilweise Erklärung der Krankheit anerkannt ist.

Sehstörungen:

Die zarten Muskeln, welche die Augenlinse akkomodieren, werden mit von der Muskelermüdung betroffen, so dass die Sicht unscharf werden kann, besonders beim Wechsel von nah zu fern und umgekehrt. Müde Augen entstehen auch dadurch, dass eigentlich bei Stress die Sicht schärfer wird und das Augenlid sich zurückzieht, so dass die Augen die Gefahrenquelle besser fokussieren können.

Vegetative Dysfunktion, z.B. Temperaturprobleme und Schwitzen, Probleme mit dem Blutdruck:
Die Amygdala sendet direkte Signale an das vegetative Nervensystem, welches zahllose Körperreaktionen koordiniert, darunter auch die Temperatur und den Blutdruck. Also können Abweichungen in den vegetativen Funktionen direkt der chronischen Stimulation durch die Amygdala zugeschrieben werden. Es ist allgemein bekannt, dass Angst Schweißausbrüche auslösen kann, ja sogar Veränderungen in der Körpertemperatur.

Einige Patienten werden „orthostatisch intolerant“, d.h. sie haben einen niedrigen Blutdruck, wenn sie aufstehen, was mit dem Neigetisch-Test festgestellt wird. Vielleicht kommt das von einer übermäßigen Speicherung von Blut in den Beinen, da ja das Vegetative Nervensystem die Blutgefäße überall sich zusammenziehen lässt, ausgenommen in den Gliedmaßen. Das kann dann zu Problemen beim Aufstehen führen, z.B. zu Schwindelgefühlen.


Beeinträchtigung der Entgiftung:

Wenn der Körper sich im vegetativen Stress-Modus befindet, dann werden nicht-lebensnot-wendige Systeme abgeschaltet. Dazu gehören Entgiftungs- und Ausscheidungsprozesse ebenso wie Heilung und Reparaturmechanismen. Wenn also dieser Zustand länger anhält, dann kann es zu Ansammlungen von Toxinen im Körper kommen. Viele Patienten klagen darüber, sich wie innerlich „vergiftet“ zu fühlen. Wenn die Amygdala neu programmiert wird, dann wird das parasympathische System den Körper nach und nach entgiften, so, wie es notwendig ist.

Alkoholintoleranz:

Alkoholunverträglichkeit wird oft als charakteristisches Merkmal bei ME/CFS/MCS genannt. Viel medizinische Forschung weist darauf hin, dass Alkohol in der Tat eine Stressantwort auslöst, indem er eine Hormonausschüttung durch den Hypothalamus hervorruft. Das ist genau die Antwort, auf die die Amygdala zu reagieren trainiert ist, wodurch noch mehr Symptome entstehen. Dazu kommt, dass diese Reaktion fehlschlagen kann wegen der durch die permanente Stressantwort degenerierten HPA-Achse und anderer hormoneller Abnormalitäten. Am Ende steht eine erhöhte Empfindlichkeit auf Alkohol.


Weitere neue Symptome:

Das vegetative Nervensystem beeinflusst alle Organe und Systeme im Körper, und das ist der Grund, warum wir es mit so vielen und weitreichenden Symptomen zu tun haben. Und da die Amygdala für alle Botschaften aus dem Körper in einem Zustand erhöhter Wachsamkeit ist, können leicht neue Ängste „gelernt“ werden. Das heißt, dass sogar ganz harmlose Signale, die von den sensorischen Neuronen empfangen werden, von der Amygdala fälschlich als Gefahren interpretiert werden können. Das passiert, weil Patienten die Signale ihres Körpers häufig aufmerksam beobachten und diese Signale dann zum Dauerzustand werden. Das erklärt, warum Patienten zusätzliche Symptome entwickeln können, die auf geheimnisvolle Weise kommen und gehen.

SYMPTOME IM KOPF

Kopfschmerzen und Benommenheit, „brain fog“:

Wie bereits gesagt treten diese infolge andauernder Muskelanspannung im Kopf auf. Insbesondere das Gehirn ist den ganzen Tag über in einem Zustand erhöhter Aktivierung, es wird gestresst und müde von so viel Stimulation. Das kann den ganzen Kopf empfindlich und schmerzhaft machen. Ein eventuell zu niedriger Blutdruck und damit zu geringer Blutfluss zum Gehirn kann zu Benommenheit führen, da dem Gehirn einfach nicht genug Versorgung zugeführt wird.

Unfähigkeit, sich zu konzentrieren:

Durch den erregten Zustand der Amygdala ist der Geist ständig gereizt. Das Bewusstsein wird durch die Amygdala wie „blockiert“, da es ständig mit Signalen in Bezug auf den Körper bombardiert wird. Infolgedessen hat das Bewusstsein Schwierigkeiten, sich auf irgendeine andere Aufgabe zu konzentrieren, denn es ist ständig bemüht, die Signale, die den Körper betreffen, zu verarbeiten.

Wenn Patienten in einem Zustand erhöhter Aktivierung bezüglich ihrer Symptome sind, dann wird ihr Gedächtnis so umorganisiert, dass alles an Wissen und Erinnerungen aktiviert wird, was in Bezug auf Symptome von Bedeutung ist. Diese bekommen den Vorrang vor allen anderen, weniger wichtigen Gedankengängen. Die Konzentration auf irgendetwas anderes wird dann sehr schwierig.

Gedächtnisprobleme:
Eine Gehirnregion mit Namen Hippocampus hat eine zweifache Rolle. Zum einen stellt er den Zugriff zum Kurzzeitgedächtnis her, und zweitens fungiert er als „Kontrollknopf“ für den Ausstoß von Stresshormonen.

Der Hippocampus wird während einer chronischen Stress-Response in Mitleidenschaft gezogen und ist dann nicht mehr in der Lage, beide Aufgaben zugleich zufrieden stellend zu erfüllen. Als Folge davon wird im Hippocampus die Bildung neuer Erinnerungen blockiert, was bedeutet, dass Sie eventuell Probleme mit dem Kurzzeitgedächtnis bekommen.

EMOTIONALE SYMPTOME

Emotionale Labilität, Ängste und Depression:

Stresshormone und Neurotransmitter sind bekannt dafür, dass sie emotionale Labilität und Gefühle der Verletzlichkeit verstärken. Das führt zu einer Vielfalt an zusätzlichen psychiatrischen Beschwerden und weiteren gelernten Ängsten, insbesondere zu Depression und manchmal zu Agoraphobie (Platz-Angst). Ihre Amygdala tut alles, damit Sie sich ängstlich fühlen sollen und versucht, Sie dadurch vor Gefahr zu warnen.

Empfindlichkeit gegenüber Stress:

Die andauernde Aktivierung der Amygdala bedeutet, dass der Ausstoß von Stresshormonen außer Kontrolle gerät. Durch äußere Ereignisse, die an sich wenig mit Ihren körperlichen Symptomen zu tun haben, werden Sie sich dann viel stärker gestresst fühlen als normal. Sie können die Welt dann für viel gefährlicher halten, als sie tatsächlich ist. Das Ganze wird noch verschärft durch die Angst, der Stress könne Ihre Symptome verschlimmern.

Panikattacken:

Viele Patienten werden anfällig für Panikattacken, von denen man weiß, dass sie durch die Amygdala herbeigeführt werden. Anhaltende Sorgen können dazu führen, dass die Amygdala triggerfreudig wird und auf das geringste negative Signal aus dem Körper reagiert.

Vielleicht bemerkt sie gewisse körperliche Veränderungen, z.B. den Anstieg des Blutdrucks als Reaktion auf ein äußeres Ereignis, und schon bereitet sie eine Panikattacke vor. Das wird dann zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung: Sowohl die Amygdala als auch das Bewusstsein fürchten eine herannahende Panikattacke, und das reicht, um sie auszulösen.

Generell verschlimmern sich bei vermehrtem äußerem Stress die Symptome zusätzlich, denn die stressreichen Ereignisse wirken dann auf einen bereits ermüdeten und sensibilisierten Geist und Körper ein.

Unfähigkeit, Freude zu empfinden:
Bei einigen Patienten können Veränderungen im opioiden System des Gehirns auftreten. Dieses System wird hyperaktiv, was ein Gefühl von Benommenheit oder Taubheit sowie andere psychologische Symptome erzeugt, darunter „Anhedonie“ (die Unfähigkeit, Freude zu empfinden), und ein Gefühl, vom Leben abgeschnitten zu sein.

UND NOCH EINMAL, ZU GUTER LETZT …

Ich bin fest überzeugt, dass diese Krankheitserscheinungen nur temporärer Natur sind – dass sie durch systemische, funktionelle Veränderungen im Körper entstehen und nicht infolge eines dauerhaften organischen Schadens. Wenn die Überreaktionen der Amygdala beendet werden, dann wird es dem Körper wieder möglich, das parasympathische System zu aktivieren, so dass die körpereigenen Heilungsmechanismen den Körper und seine Funktionen wieder ins Gleichgewicht bringen können.